Das Erlanger Baby und die Problematik des Hirntod-Konzeptes bei der Organspende

Das Erlanger Baby und die Problematik des Hirntod-Konzeptes bei der Organspende

In der 15. Schwangerschaftswoche verunglückte 1992 eine junge Frau in der Nähe von Erlangen. Bei dem Autounfall erlitt sie ein Schädel-Hirn-Trauma. Aufgrund dieser Verletzung stellten die Ärzte der Universitätsklinik Erlangen den Hirntod fest und entschieden das Leben des vorgeburtlichen Kindes durch medizinisch-technische Unterstützungsmaßnahmen zu retten. Diese Maßnahmen ermöglichten es der hirntoten Schwangeren, ihre Schwangerschaft fortzusetzen. Das sogenannte Erlanger Baby lebte fünf Wochen in seiner hirntoten Mutter weiter, dann starb es.

Die Frage, ob die Neudefinition des menschlichen Todes als Hirntod (Harvard-Report von 1968) dem wirklichen Tod des Menschen entspricht oder nicht, lässt sich anhand dieser Geschichte anschaulich darstellen. Diese Frage ist in Deutschland angesichts der möglichen Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende für jedermann von großer Aktualität.

Mit dem Internisten L. S. Geisler können folgende Sachverhalte hervorgehoben werden: „Eine Vielzahl biologischer Phänomene [wie z. B. ‘Herz-Kreislauffunktion, Nierenfunktion, Verdauung, Regulierung des Wasser- und Mineralhaushaltes, immunologische Reaktionen und Atmung auf Zellebene’],[1] die an Hirntoten zu beobachten sind, gibt es nur bei Lebenden, und keines davon ist bei Toten feststellbar. Es ist offensichtlich, dass beim hirntoten Menschen von einem ‚Ende als Organismus in seiner funktionellen Einheit‘ (Bundesärztekammer) im Hinblick auf die Vielzahl erhaltener, zum Teil integrativer Funktionen seines Körpers (Kreislauf, Immunsystem, hormonelle Leistungen) nicht die Rede sein kann. Das Kennzeichen des Todes, der irreversible Ausfall der von einem Organismus als Ganzem erbrachten Integrationsleistung, liegt offensichtlich nicht vor.“[2] Geisler zeigt auch auf, dass die Befürworter der Identifikation von Hirntod mit dem Tod des Menschen in ihrer Argumentation oft der eigentlichen Frage ausweichen, nämlich, wie es z.B. möglich ist, dass auch eine „tote“ (hirntote) schwangere Frau einem gesunden Kind das Leben schenken kann: „Die längste Schwangerschaft einer Hirntoten betrug 107 Tage. Sie wurde durch Kaiserschnitt von einem gesunden Jungen entbunden, der sich normal entwickelte.“[3]) Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer schreibt hierzu: „Das Fortbestehen einer Schwangerschaft widerspricht nicht dem eingetretenen Hirntod der Mutter. Eine Schwangerschaft wird endokrinologisch von der Plazenta und nicht vom Gehirn der Mutter aufrechterhalten.“[4] Geisler bemerkt zu dieser Erklärung: „Nur die entscheidende Tatsache bleibt unausgesprochen: Die Plazenta befindet sich nicht in einem Vakuum oder einem künstlichen Uterus, sondern in einer lebenden Frau und nur deshalb funktioniert sie.“[5]

Was ist der zureichende Grund für das Leben des Menschen?

Ein Argument ist, dass der Hirntote in der Regel eindeutige, dem natürlichen biologischen Lebendigen eigene Charakteristika, wie z.B. Wachstum, Körpertemperatur, Erzeugung von Keimzellen etc.[6] aufweist und somit lebt, da es menschliches Leben ohne ein zugrundeliegendes einfaches und unteilbares Lebensprinzip nicht geben kann. Wäre ein irreversibles Hirnversagen die direkte Ursache für die Trennung von Leib und Lebensprinzip, wie das manche aufzufassen scheinen, so dürfte der Hirntote diese Charakteristika des biologischen Lebens eben nicht aufweisen. Da dies aber der Fall ist, denn andernfalls wäre ein Hirntoter nicht fähig, lebende Organe zu spenden, muss der Hirntote durch das menschliche Lebensprinzip belebt sein und ist somit nicht wirklich tot. „Der lebende Körper ohne funktionsfähiges Gehirn ist nicht ein Sack voll lebendiger Organe, sondern ein hochkomplexes System, das viele Subsysteme nach wie vor koordiniert. Und diese Einheit stiftende Koordination heißt Leben.“[7] (R. Spaemann)

Dr. Raphael E. Bexten


  1. Geisler, L. S. Ist die Hirntod-Definition aus biologisch-medizinischer Sicht plausibel? www.webcitation.org/5sUSvmdQU [07.10.2014]. ↩︎
  2. Ebd. ↩︎
  3. Ebd. ↩︎
  4. Bundesärztekammer. Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, Deutsches Ärzteblatt 95, 30 (1998): A-1861-A- 1868, 53-60. ↩︎
  5. Geisler, L. S. Ist die Hirntod-Definition aus biologisch-medizinischer Sicht plausibel? www.webcitation.org/5sUSvmdQU [07.10.2014]. ↩︎
  6. Vgl. Shewmon, D. Alan. You only die once, 470-471. ↩︎
  7. Spaemann, Robert. General discussion, in: The signs of death, M. S. Sorondo (Hrsg.), Vaticana (2007): 250-291:279. ↩︎

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