„Jemand, der jetzt Embryo ist“
„Weil sich meine Lebensphase weder entwickelt, noch mir vorausgeht, ist es streng gedacht irreführend zu sagen, aus einem Kind wird ein Erwachsener; vielmehr muss es genau heißen: Du selbst, der Du jetzt Kind bist, wirst – wenn alles gut geht – einmal ein Erwachsener sein, der dann von sich sagen wird können, er sei damals Kind gewesen. Streng gedacht ist es nicht der Embryo, der sich entwickelt und zu einem Kind wird, sondern es ist jemand. Jemand, der jetzt Embryo ist, das heißt sich in der embryonalen Phase seines Lebens befindet, wird einmal – wenn nichts dazwischen kommt – Kind sein, das heißt sich in der Lebensphase eines Kindes befinden. Deshalb ist es auch irreführend (wenngleich aus sprachlicher Bequemlichkeit verständlich), zu sagen, aus einem Embryo entstehe ein Kind oder ein Erwachsener. Erstens wird hier eine Verschiedenheit von Embryo und mir selbst unterstellt und so getan, als sei jemand aus nicht-jemand geworden. Zweitens ist eine Zeitigung meines Lebens, die als Folge von Lebensphasen geschieht, nicht ein Entstehungsprozess. Ich bin nicht aus einem Embryo entstanden, weil ich selbst Embryo gewesen bin, also selbst schon da gewesen bin, da ich nicht aus mir, der ich schon da gewesen bin, entstehen kann. Ich entstehe nicht aus einer Lebensphase. Sich in einer späteren Lebensphase befinden (jetzt Erwachsener zu sein) heißt nicht, aus einer gewesenen Lebensphase entstanden sein. Dass ich einmal ein anderes Aussehen geboten habe, heißt nicht, dass ich aus etwas anderem entstanden bin. Meine gewesenen Lebensphasen sind nicht etwas anderes als ich“.
Günther Pöltner (2005). „Ontologische Voraussetzungen der Debatte über den Embryonenschutz“. In: Perspektiven des Lebensbegriffs: Rundgänge der Phänomenologie. Hrsg. von Stefan Nowotny und Michael Staudigl. Bd. 34. Georg Olms Verlag, S. 161–182: S. 171.